15. September 2025 – dpa

Musikfestival für Talente

Reeperbahn-Festival: Vom kleinen Club auf die große Bühne

Seit 20 Jahren ist das Reeperbahn-Festival eine Art musikalischer Steinbruch. Hier werden aufstrebende Talente vorgestellt. Manche füllen danach Arenen. Die Macher hoffen auf mehr junge Gäste.

Das Reeperbahn-Festival hat sich dem Finden und Fördern von musikalischen Talenten verschrieben. Seit zwei Jahrzehnten schon holt das Team um Festivalgründer Alexander Schulz Künstlerinnen und Künstler fast aller Genres geballt auf die Bühnen Hamburgs. Am Mittwoch ist es wieder so weit: Europas wohl größtes Clubfestival geht in seine 20. Runde.

Diesmal zeigen mehr als 400 Künstlerinnen und Künstler, was sie drauf haben. Die 65 Spielorte sind wie immer rund um die Reeperbahn im Herzen der Stadt verteilt - vom Mini-Club über das Heiligengeistfeld bis hin zur Elbphilharmonie.

Ein wichtiger Teil des viertägigen Club- und Branchenfestivals ist das Vernetzen. Nachwuchsmusiker bekommen eine Bühne, damit sie auch von internationalen Plattenfirmen und Musikverlagen gesehen werden. Zum Festival kommen auch rund 5.000 Fachbesucher. Das Reeperbahn-Festival kann ein Sprungbrett auf die internationale Bühne werden.

So sind in den vergangenen Jahren neben Ed Sheeran auch schon Rag'n'Bone Man, Bon Iver, Jake Bugg, Jack Antonoff, Cro, Casper, Biffy Clyro oder Boy auf dem Festival aufgetreten, bevor sie ihren großen Durchbruch hatten. Zuletzt hatten beispielsweise Ayliva im Gruenspan und Zartmann sowie Ikkimel im Feldstraßenbunker noch auf vergleichsweise kleinen Bühnen gespielt. Mittlerweile füllen sie mehrfach hintereinander Arenen oder sind ratzfatz ausverkauft.

Zudem gebe es eine riesige Auswahl an kleinen Erfolgsgeschichten, wo Talente dank des Festivals auch international unterwegs sind, sagt Festivalsprecher Frehn Hawel.

Wer also mit offenen Ohren durch die Clubs zieht, dürfte mit Sicherheit den einen oder anderen Newcomer mit Potenzial entdecken. Tickets sind noch für alle Tage zu haben. Und wer weiß: Vielleicht warten das Festival oder die beteiligten Labels doch noch mit großen Namen auf. In den vergangenen Jahren spielten etwa Bands wie Deichkind oder Kraftklub als Überraschungs-Acts.

Das Reeperbahn-Festival hat sich gleichzeitig zur Aufgabe gemacht, eine Art Versuchslabor für neue Erfolgsrezepte und Vorreiter für die Musikbranche zu sein. Möglich machen das Fördermittel - 6,5 der insgesamt nötigen 9,1 Millionen Euro kommen von der Stadt Hamburg und vom Bund.

So konnte das Festival beispielsweise ohne finanzielles Risiko testen, welche Auswirkungen die Corona-Abstandsregeln auf den musikalischen Genuss und die Clubkultur haben, was sinnvoll umsetzbar ist und was nicht. Vorangegangen ist das Team auch mit seinem Keychange-Programm: Seit Jahren hat das Festival einen weiblichen Anteil von rund 50 Prozent im Musikprogramm.

In diesem Jahr aber haben Festivalgründer Schulz und sein Team mit anderen Herausforderungen zu kämpfen: Es fehlen die jungen Ticketkäufer. Obwohl die Preise extra nicht angehoben wurden, damit auch nicht so kaufkräftige, vornehmlich jüngere Musikfans sich das Festival leisten können. Das bisherige Fazit ist allerdings ernüchternd: Die allermeisten Ticketkäufer sind weiterhin älter als 30 Jahre und es kommen wohl genauso viele Menschen wie 2024, also etwa 45.000.

Das sei auch deshalb überraschend, weil das Festival deutlich mehr Acts im Programm hat, die vor allem von 18- bis 30-Jährigen gehört werden, sagte Schulz. Den Hauptgrund dafür sieht er in der Corona-Pandemie. In dieser Zeit gab es zwei bis drei Jahre lang keine Live-Erlebnisse. Die Jugend hat nicht erfahren können, wie beeindruckend Konzerte in echt sein können. Die Auswirkung: Sofa und Handy statt Konzerthalle und wummernde Bässe.

Außerdem hat die digitale (Selbst-)Vermarktung der Musikerinnen und Musiker im Internet enorm an Bedeutung gewonnen. Ob Tiktok, Instagram, YouTube und andere Plattformen - Musik (meist in kurzen Häppchen) sei mittlerweile einfach überall und das führe zur Überreizung, ist Schulz sicher.

«Man kommt nicht mehr hinterher. Die Leute haben einfach keinen Bock mehr, etwas zu entdecken, weil sie überall angesprungen werden, überall etwas liken müssen, etwas hören müssen, etwas gut finden sollen.» Dadurch gerate das instinktive Entdecken von Musik in den Clubs ins Hintertreffen.

Das kann auch fatale Auswirkungen für die Branche haben, wie Schulz sagt. Weil die ersten Karriereschritte der Nachwuchsmusiker jetzt oft digital und nicht in den Clubs gegangen werden, seien die kleinen Clubs «alle wirklich hart bedroht», sagt Schulz weiter. «Aber du brauchst diese Spielflächen, damit so was weiter wachsen kann und Bands sich ausprobieren können.»

Dieser nachhaltige Künstleraufbau sei wichtig für die Branche. Wenn der wegfalle, werde das irgendwann allen in der Musikbranche auf die Füße fallen. Ohne Nachwuchs keine Stars.

Das Reeperbahn-Festival will deshalb mit dem diesjährigen Motto «Imagine Togetherness» in der Branche stark dafür werben, dass die Musikindustrie die Headliner von morgen nur gemeinsam gut entwickeln kann. Entsprechende solidarische Konzepte zur Teilmarkt übergreifenden Finanzierung der Nachwuchsförderung werden derzeit erarbeitet, stehen aber noch eher am Anfang.

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