28. Oktober 2025 – dpa
Unterricht zwischen Wind und Wellen: 38 Jugendliche wagen sich bald auf See. Zu Besuch bei einer besonderen Schule.
Sie tauschen Klassenzimmer gegen Schiff, ihr Zuhause gegen eine Koje, Alltag in Deutschland gegen Segeln in der Karibik: 38 Jugendliche stechen diese Woche mit dem Dreimaster «Eendracht» ab Bremerhaven in See. Sieben Monate sind sie auf sich selbst gestellt - sie halten den Großsegler gemeinsam mit der Crew auf Kurs, kochen, putzen und lernen an Bord.
Ihre Reise im Rahmen des Projekts «High Seas High School» führt zu den Kanaren und Kapverden über den Atlantik in die Karibik, zu längerem Landaufenthalt nach Costa Rica und dann über Kuba, Bermuda und die Azoren zurück nach Deutschland.
«Ich freue mich ganz doll auf die Menschen, auf die anderen Kulturen und auf die Eindrücke aus den Ländern», erzählt Jonah aus Hamburg. «Ich segle schon mein Leben lang, aber das wird ein richtiges Abenteuer.» Der 15-Jährige hat es sich in seinem neuen Zuhause schon gemütlich gemacht: Eine Lichterkette, ein mit seinen Initialen besticktes Kissen und ein Stoffkuschelschwein schmücken sein Bett. Von dort kann er über ein Bullauge die Wellen beobachten.
Viel Platz ist nicht, geschweige denn Privatsphäre: Die Koje teilt sich Jonah mit drei anderen Jungs. Es gibt ein Waschbecken und ein Sofa. Jeder hat eine Pritsche, einen schmalen Kleiderschrank und eine Schublade. Das sei mehr als ausreichend, findet der 15-Jährige. «Es ist quasi wie auf einer Kreuzfahrt.» Seine Koje sei noch geräumig im Vergleich zu den anderen Kabinen. «Ich habe wirklich, wirklich Glück.»
Jonah und seine Mitschüler werden ohnehin nicht viel Zeit in der Koje verbringen, der Alltag an Bord ist durchgetaktet. Die Jugendlichen sind in vier Wachen eingeteilt, die rund um die Uhr und bei jedem Wetter Segel setzen und bergen, mit dem Schiff an- und wieder ablegen, kochen und abwaschen.
Seit Sonntag ist die junge Crew auf dem Schiff. Leander aus Berlin hat schon seine erste Nachtschicht hinter sich. «Also nachts muss jede Stunde jemand durchs ganze Schiff gehen, jede Luke kontrollieren, dass da kein Wasser reinkommt oder Feuer ist», berichtet der 16-Jährige. «Und ansonsten guckt man halt, dass jetzt niemand unerlaubt das Schiff betritt.»
Während die einen arbeiten, lernen die anderen. Denn während des Törns geht die Schule weiter. Fünf Lehrkräfte übernehmen den Unterricht in Kleingruppen, sie orientieren sich dabei am Lehrplan für die elften Klassen niedersächsischer Gymnasien. «Das ist ein Schulprojekt - mit richtigem Unterricht, richtigen Lehrkräften und richtigen Zeugnissen», betont Victoria Effinghausen, die selbst Deutsch und Geschichte unterrichtet und das Projekt koordiniert.
Seit 1993 organisiert die Hermann Lietz-Schule, ein Internat auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog, die Segeltörns. Zunächst war die Reise nur für die eigenen Schülerinnen und Schüler gedacht, mittlerweile können sich Jugendliche aus ganz Deutschland und aus dem Ausland bewerben. Sie müssen ein Motivationsschreiben und eine Empfehlung einer Lehrkraft einreichen, sich bei einem einstündigen Bewerbungsgespräch beweisen und das Geld aufbringen.
Rund 32.000 Euro kostet die Reise, hinzu kommen Taschengeld und Ausgaben für die Ausrüstung, Versicherungen, Impfungen, An- und Abreise. Meistens zahlen die Eltern, wie Effinghausen berichtet. Einige Schüler sparen jahrelang, sammeln Spenden, bewerben sich auf ein Stipendium oder versuchen den Törn mit Schüler-Bafög zu finanzieren. «Wir schauen, dass wir eine bunt gemischte Gruppe zusammenstellen.»
Damit das Zusammenleben auf engstem Raum funktioniert, gelten an Bord strikte Regeln. Ihr Handy bekommen die Jugendlichen nur für wenige Stunden an Land, Alkohol, Drogen und Türenknallen sind verboten, ab 22.00 Uhr ist Ruhe.
Noch lassen sich die Schülerinnen und Schüler die Laune davon nicht verderben. Doch sie ahnen schon, dass es auf Dauer hart werden könnte. «Wenn Sturm ist, man ausgelaugt ist und dann mit 38 Jugendlichen auf einem Haufen lebt, ist es unvermeidlich, dass man da irgendwann mal aneinander gerät», meint Jonah. «Es ist eine große Herausforderung, das zu meistern und sich nicht zu doll an den Kragen zu gehen.»
Mitschülerin Hannah aus Frankfurt pflichtet ihm bei. Sie wohne als Einzelkind mit ihren Eltern zusammen, ein Leben mit so vielen kenne sie nicht. «Wenn ich nicht genug schlafe, werde ich halt auch krank», befürchtet die 16-Jährige. «Und ich glaube, krank sein auf dem Schiff ist auch nicht so schön.»
Gerade anfangs werden viele seekrank sein, befürchtet auch Leander. «Ich bin vorher noch nie gesegelt.» Bis er im Sommer probeweise bei einem Törn dabei war. «Ich wurde extrem seekrank.» Doch irgendwann gewöhne sich der Körper dran, im Notfall helfen Medikamente.
Am Donnerstag geht die Reise los. Bis dahin rüsten sich die Jugendlichen mit Lebensmitteln, orientieren sich auf dem Schiff und trainieren für den Notfall. Dann heißt es Abschied nehmen. «Da dürfen wir ganz kurz vom Bord runter und unsere Eltern noch mal die Arme nehmen», sagt Hannah. «Das wird schon ein bisschen schwer.»
Ihm sei vor allem der Abschied von seinem 98-jährigen Opa schwergefallen, erzählt Jonah. «Die Vorfreude einfach, dass es losgeht und dass man auch wiederkommt, ist jetzt größer als die Trauer.»