05. Juni 2025 – dpa

Verfassungsschutzbericht

Extremisten nehmen junge Menschen ins Visier

Mehr politisch motivierte Gewalt und mehr «Reichsbürger»: Verfassungsschutz und Innenministerin in Schleswig-Holstein sind über einen Trend aber besonders besorgt.

Mit großer Sorge beobachten Experten die Einflussnahme von Extremisten auf Jugendliche in Schleswig-Holstein über Plattformen wie Tiktok, Youtube oder Instagram. Junge Menschen radikalisierten sich im Netz, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts. «Das ist ein riesengroßes Problem unserer Gesellschaft.» Die Entwicklung mache ihr Sorgen. Das Land sei im Bereich Polizei und Verfassungsschutz aber gut aufgestellt.

Diese Einflussnahme gebe es nicht nur durch Islamisten, sondern in allen Bereichen des Extremismus, sagte Sütterlin-Waack. «Das Netz ist eben die Plattform, in der sich jüngere und auch ältere Menschen bewegen. Manche den ganzen Tag. Und sie sind auch - leider muss man sagen - nicht mehr empfänglich für die klassischen Medien.» Im Bereich der Radikalisierung sei diese Entwicklung deutlich zu verzeichnen.

Der Leiter des Verfassungsschutzes, Torsten Holleck, sagte, «über die klassischen Plattformen Tiktok, Instagram und YouTube findet diese Missionierungsarbeit fruchtbaren Nährboden». Das werde gepusht durch die Krisen in der Welt, den Nahost-Konflikt oder die Klimadebatte. In den sozialen Medien gehe es dabei auch um die Frage, ob auch hier in Europa Krieg ausbrechen könnte. «Das wirkt wie ein Katalysator für die Empfänglichkeit, radikale bis extremistische Positionen einnehmen zu können.»

Im Fokus steht auch die im Norden unter dem Namen Nordfeuer auftretende Identitäre Bewegung. «Die Neue Rechte versucht auf subtile Weise, die gesellschaftspolitischen Themen mit eigenen Begriffen und Erzählungen zu besetzen, die eindeutig verfassungsfeindlichen Inhalt haben», sagte Sütterlin-Waack. «Allerdings wird der Inhalt so kommuniziert, dass ihr extremistischer Gehalt nicht sofort offen zutage tritt.» Sie versuche, die Akzeptanz für extremistische Positionen bis weit in die Mitte der Gesellschaft zu erhöhen.

Verfassungsschützer registrierten 2024 insgesamt einen deutlichen Anstieg politisch motivierter Straftaten. Deren Zahl stieg 2024 im Vorjahresvergleich um 54,3 Prozent auf 2.677 Fälle an. Das war den Angaben zufolge der bisherige Höchstwert. Die Entwicklung entspreche aber dem Bundestrend.

Über fast alle Bereiche beobachtete der Verfassungsschutz 2024, dass die Zahl der diesen verschiedenen Feldern zugeordneten Personen fast immer in etwa gleich geblieben ist. Weiteren Zulauf beobachteten die Experten jedoch bei «Reichsbürgern» und sogenannten Selbstverwaltern von 700 auf etwa 800 Personen.

Der Rechtsextremismus bildete zuletzt den Schwerpunkt der Arbeit der Behörden. Zwar sank die Zahl der registrierten Rechtsextremisten im Land um 20 auf 1.180. Weiterhin gelten jedoch 350 als gewaltbereit. 2024 wurden 1.516 Straftaten erfasst (2023: 975). Das entspricht einem Anstieg um 55,5 Prozent.

Die Anzahl der rechten Gewalttaten ging im Vorjahresvergleich zwar um 16 auf 65 Taten zurück. Dies ist laut Verfassungsschutz auf eine Rechtsrock-Veranstaltung in Neumünster im März 2023 zurückzuführen mit allein 23 Gewaltdelikten.

Holleck betonte, die AfD Schleswig-Holstein sei keine gesichert rechtsextremistische Bewegung. «Dafür braucht man Belege.» Eine Rolle habe die Partei aber beim sogenannten Tag des Vorfelds am 20. Juli 2024 unter Beteiligung zahlreicher Personen und Organisationen aus dem rechtsextremistischen Spektrum gespielt.

Wer teilnehmen wollte, habe sich über eine der AfD zugeordneten Adresse anmelden müssen, sagte Sütterlin-Waack. «Ein solches Treffen von Akteuren der Neuen Rechten in dieser Besetzung und in dieser Größe hat es bislang hier bei uns in Schleswig-Holstein noch nicht gegeben.»

Die Verfassungsschützer erfassten im vergangenen Jahr im Bereich Linksextremismus 265 Straftaten (2023: 137). Es gab 27 Gewaltdelikte. Dem Spektrum werden weiterhin etwa 745 Menschen zugerechnet.

Vom islamistischen Terrorismus geht weiterhin eine hohe abstrakte Gefährdung aus. Der Verfassungsschutz rechnet dem Islamismus insgesamt 820 Personen zu. Der Salafismus bleibt mit etwa 700 Menschen die am meisten verbreitete islamistische Strömung. «Wir sind froh, dass Schleswig-Holstein aber trotz des vorhandenen Personenpotentials glücklicherweise von einem Anschlag verschont geblieben ist. Unsere Ermittlungsbehörden kümmern sich tagtäglich darum, solche Anschläge zu verhindern», sagte die Ministerin.

Weitere Nachrichten aus Hamburg & Schleswig-Holstein

Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

undefined
Audiothek