09. August 2025 – dpa
Wie kindliche Faszination, ein Film und ein Fundstück aus einer Tongrube das Leben von Marco Schade geprägt haben – und warum er sich teils «angenehm bedeutungslos» fühlt.
Marco Schade hat kein Türschild wie seine Universitätskollegen. Stattdessen hängt neben seinem Büro in der Greifswalder Zoologie das Bild eines bedrohlich dreinschauenden grünen Reptils mit Schnabel, Zähnen und gelben Augen. Hinter der Tür tummeln sich weitere Urzeitechsen: Spino-, Stego- oder Ankylosaurusfiguren bevölkern den Schreibtisch und machen klar: Hier arbeitet der «Dinosauriermann», wie sich der Wissenschaftler auf Instagram nennt.
«Ich habe mich daran erinnert, dass im dritten Jurassic-Park-Teil dieser Dr. Alan Grant eben Dinosauriermann genannt wird von einem Jungen», erklärt der 36-Jährige. «Meine Eltern haben mich ja unverantwortlicher Weise mit fünf Jahren Jurassic Park sehen lassen.» Er sei schon vorher fasziniert gewesen, aber der Film sei der erste ihm noch richtig bewusste Startschuss für die Beschäftigung mit dem Thema gewesen. Diese Beschäftigung hat gut sichtbar Spuren hinterlassen. Schade trägt ein olivgrünes T-Shirt mit Raubsaurierskelett. Auf seinen beiden Armen sind Dinosaurier tätowiert.
Dabei ist der Vorpommer erst über Umwege in die Wissenschaft gelangt. Er komme aus einer Familie, in der habe man nicht studiert. «Das war sowieso völlig illusorischer Blödsinn, als Greifswalder irgendwas mit Dinosauriern arbeiten zu wollen.»
Nach der Realschule habe er eine Lehre als Groß- und Außenhändler gemacht. Später habe er in Berlin als Türsteher und im eBay-Kundendienst gearbeitet. Frustriert durch die eigenen Jobs sei er danach mit seiner damaligen Freundin nach Australien gereist und habe dort etwa als Erntehelfer gearbeitet.
Die dortigen gut gemachten Naturkundemuseen hätten Schades Dino-Leidenschaft neu entflammt. «Da habe ich mich dann dazu entschlossen, Paläontologie zu studieren, Abi nachzuholen und so weiter.» Da war er Mitte 20.
Jahre später, nach Studium und Promotion, erwies sich ein Fund in einer Tongrube bei Grimmen aus den 1960er Jahren als Glücksfall für Schade. Er gehört zu einem eher kleineren gepanzerten Pflanzenfresser namens Emausaurus, der vor etwa 180 Millionen Jahren gelebt hat. Es ist der Dinosaurier, dessen Bild statt Namensschild neben Schades Tür hängt. Weil das Fossil aus Vorpommern stammt und in Greifswald aufbewahrt wird, konnte Schade im Rahmen eines Forschungsantrags auch begründen, wieso er in seiner Heimat arbeiten wollte. «Da war es eben großes Glück, dass wir hier diesen international sehr bedeutenden Dinosaurier haben, der eben unterstudiert ist.»
Wie eng sein Verhältnis zum Emausaurus ist, zeigt Schades linker Arm, wo das Tier als Tattoo dargestellt ist. «Der Drache aus Vorpommern» sei ein schöner Name, erklärt Schade, wegen eines spitz zulaufenden Knochens hinten am Kopf, der dem Schädel etwas drachenartiges verleiht.
Anhand moderner Computertomografie (CT) untersucht Schade die Knochen und Zähne. Dabei geht es etwa um die Frage, was das Tier gefressen hat, aber auch wer möglicherweise den Emausaurus gefressen hat. Dazu hat der Paläontologe eine Hypothese. Auf engstem Raum befanden sich in einem kleinen Gesteinskörper alle gefundenen Knochen des Tieres. Zudem habe man sich lange gewundert, wieso fast der komplette Schädel vorhanden ist, aber fast nichts vom restlichen Körper.
Schade sagt, es könnte sich um einen Speiballen handeln, etwa eines Urzeitkrokodils, das Emausaurus gefressen und unverdauliche Teile wieder ausgespuckt hat. Mit den hochauflösenden CT-Analysen hat Schade zudem kleine trichterförmige Vertiefungen an Knochen gefunden - möglicherweise entstanden durch Magensäure. Die Hypothese sei aber noch umstritten.
Im deutschsprachigen Raum sind Dinosaurier nach Schades Eindruck viel weniger im Fokus der Öffentlichkeit als im englischsprachigen Raum. Teils sei es so, dass deutschsprachige Medien bei aus seiner Sicht spektakulären Themen erst einsteigen, nachdem englischsprachige Medien berichtet haben. «Deutschland, also die Bevölkerung, interessiert sich für unsere erdgeschichtlichen Themen nicht so sehr, wie die Bevölkerung im angelsächsischen Raum, würde ich sagen.» Wieso sei schwer zu sagen.
Christian Foth vom Naturkundemuseum Berlin kann das zumindest mit Blick auf Medien bestätigen. Die Berichterstattung sei nicht vergleichbar mit den USA oder dem Vereinigten Königreich, sagt der Paläontologe, der sich vor allem mit der Evolution von Raubsauriern und dem Ursprung der Vögel beschäftigt. An den Funden könne dies nicht liegen: «Deutschland muss sich, was sein Fossilienschatzreichtum anbelangt, in keinster Weise international verstecken. Wir haben unglaublich schöne Fossilienfundstellen.» Er verweist etwa auf den weltberühmten Urvogel Archeopteryx, der als frühster bekannter Vogel gilt. Alle 14 bislang bekannten Exemplare wurden in Bayern entdeckt.
Insgesamt sei die Berichterstattung über Wissenschaft nicht so ausgeprägt wie anderswo. Die Paläontologie komme im Vergleich zu anderen Feldern unter Umständen sogar noch gut weg. Sie wird laut Foth aber «finanziell eher stiefmütterlich behandelt». Die aktive Forschung beschränke sich in Deutschland auf eine Handvoll Wissenschaftler. Dementsprechend gebe es auch weniger medienwirksame Erkenntnisse.
In der hiesigen Bevölkerung gebe es durchaus Interesse, sagt Foth: «Wenn ich erzähle, dass ich Dinosaurierforscher bin, dann spitzen halt alle die Ohren und fragen sich erst mal: "Wow, so was kann man überhaupt machen?"»
Wieso soll man sich überhaupt mit Uhrzeitechsen beschäftigen, die vor Jahrmillionen ausgestorben sind? Schade wird philosophisch: «Das ist eine kulturelle Errungenschaft und sollte auch aufrechterhalten werden, um ganzheitlich über die Menschen, den Planeten und das Sein nachzudenken.» Würde man sich nicht mit solchen Themen beschäftigen, ginge das Gefühl dafür verloren, «wie lange der Mensch existiert, wie alt die Erde ist, dass Ökosysteme sich verändern, dass Tiere aussterben können». Der Umgang mit 180 Millionen Jahren alten Fossilien sei etwas Besonderes. «Der Mensch kann, wenn er diese Chance wahrnimmt, sich so angenehm bedeutungslos fühlen in dem Moment.»
Auf Kindergeburtstagen ist «Dinosauriermann» Schade mitunter ein gefragter Experte, aber: «Meine eigenen Kinder, die brennen da jetzt noch nicht so richtig für.» Fällt es ihm schwer, Kinderbücher über Dinosaurier anzuschauen und sich nicht über Ungenauigkeiten aufzuregen? «Ja, das stimmt. Also es gibt da immer so schlimme Details.» Etwa, wenn ein Langhalsdinosaurier seinen Schwanz mitschleift, anstatt ihn zu heben. «Das sage ich dann schon.»