10. Juli 2025 – dpa

Verfassungsschutzbericht

Radikalisierung Jugendlicher über Internet besorgt Minister

Im Schutze des Internets driften immer mehr Jugendliche ins rechtsextreme Lager ab. Es werde offenbar als schick empfunden, rechtsextrem zu sein, stellt Innenminister Pegel besorgt fest.

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Die Radikalisierung Jugendlicher über Soziale Medien hat nach Angaben von Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) massiv zugenommen. (Archivbild), Foto: Jens Büttner/dpa

Als alarmierend hat Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) die Radikalisierung Jugendlicher über soziale Medien bezeichnet. Rechtsextreme Jugendnetzwerke würden sich fast unsichtbar im digitalen Raum selbst radikalisieren und organisieren. Die Anhänger seien immer jünger und zunehmend gewaltbereit.

«Was früher im Hinterhof stattfand, geschieht heute in verschlüsselten Chats, TikTok-Kommentaren und Telegram-Kanälen – oft unbemerkt von Eltern und Lehrkräften», konstatierte Pegel anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für 2024 in Schwerin. Es gelte bei einem Teil junger Männer offenbar als schick, rechtsextrem zu sein. «Das ist keine kurze Phase. Es hat junge Menschen in großer Breite erreicht», sagte Pegel. Insgesamt gehe weiterhin vom Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie aus.

Als Konsequenz aus der Entwicklung sprach sich der Minister für Gesetzesänderungen aus, die es den Behörden ermöglichen, verdächtige Jugendliche nicht erst ab 16, sondern schon mit 14 Jahren genauer unter die Lupe zu nehmen. «Ich würde gerne vor der Gewalttat beobachten und nicht erst ab der Gewalttat», sagte Pegel. Zudem seien Eltern, Freunde und Lehrer gefordert, sensibler für erste Anzeichen einer Radikalisierung zu sein, um frühzeitig entgegenwirken zu können.

Mitte Mai waren bei einer bundesweiten Durchsuchungsaktion fünf Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren festgenommen worden, denen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Zwei der Verdächtigen kommen aus Mecklenburg-Vorpommern. Der Vereinigung, die sich selbst «Letzte Verteidigungswelle» nennt, wird die Planung und Durchführung von Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen zur Last gelegt.

Nach Angaben Pegels erreichte die Zahl der in MV registrierten politisch motivierten Straftaten 2024 mit 3.317 Fällen einen historischen Höchststand. Im Vergleich zu 2023 war das ein Anstieg um fast 75 Prozent. Ein Großteil der Taten stand allerdings im Zusammenhang mit den 2024 abgehaltenen Kommunal- und Europawahlen. Dazu gehörte auch das Beschädigen von Wahlplakaten.

2.184 der politisch motivierten Straftaten und damit zwei Drittel aller registrierten Fälle wurden dem Bereich Rechtsextremismus zugeordnet. Die Zahl der Straftaten aus dem Bereich Linksextremismus verdoppelte sich gegenüber 2023 auf 361. Bei antisemitischen Straftaten registrierten die Behörden einen leichten Anstieg auf insgesamt 124 Fälle, zum Großteil verübt von Anhängern der rechtsextremistischen Szene.

Die Zahl der Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wurden, wuchs binnen Jahresfrist von 1.855 auf 1.950. Dem Bereich der den Staat ablehnenden «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» wurden gleichbleibend etwa 690 Anhänger zugeordnet. Als Linksextremisten wurden im Land 440 Personen eingestuft, zehn mehr als im Vorjahr. Die vor allem auf Salafisten beschränkte islamistische Szene umfasst dem Bericht zufolge konstant 180 Anhänger.

Der Verfassungsschutzbericht sei statistische Momentaufnahme und zugleich Weckruf für Politik, Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft, gegen Gleichgültigkeit, digitale Radikalisierung und die schleichende Erosion demokratischer Werte anzugehen. «Unsere Demokratie stirbt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Klick, wenn wir nicht entschieden gegensteuern», mahnte Pegel, kündigte zugleich aber an, weiterhin frühzeitig Gefahren anzusprechen und ihnen auf allen rechtsstaatlichen Wegen zu begegnen.

Die Grünen im Landtag beklagten, dass Mecklenburg-Vorpommern das einzige ostdeutsche Bundesland sei, in dem die AfD nicht als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft sei und somit nicht im Bericht auftauche. «Die AfD bleibt ein blinder Fleck im Verfassungsschutzbericht», monierte Fraktionschefin Constanze Oehlrich. Angesichts der Faktenlage sei dies nicht nur fahrlässig, sondern gefährlich. Die Zunahme von Waffen im Besitz Rechtsextremer erfülle sie zusätzlich mit Sorge, wie auch der Zulauf junger Leute.

AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer äußerte sich kritisch, dass die zu Jahresbeginn auch in MV aufgelöste Junge Alternative wieder im Verfassungsschutzbericht auftauche, weil sie von einem Volk spreche, das unter anderem durch Abstammung verbunden sei.

SPD-Fraktionschef Julian Barlen warf der AfD vor, sie leiste mit ihrer Hetze systematisch Vorschub für die digitale Radikalisierung junger Menschen. «Die AfD in MV fabuliert in Podcasts mit der Identitären Bewegung über einen "System-Change von rechts", posiert mit rechtsextremen Jugendlichen auf Bildern und stellt Homosexualität auf eine Stufe mit Pädophilie. Damit stellt sich die AfD bewusst breitbeinig in die rechtsextreme Ecke. Das ist schlichtweg demokratiegefährdend», sagte Barlen.

Nach Ansicht des Linke-Abgeordneten Michael Noetzel zeigen die Ermittlungen gegen Mitglieder der «Letzten Verteidigungswelle», dass es sich dabei nicht um «Maulhelden» handele. «Überall im Bundesland schießen diese turboradikalisierten und ultragewaltbereiten rechtsradikalen Jugendgruppen aus dem Boden. Moralische und politische Rückendeckung erhalten diese Jungfaschisten von der AfD. Sie liefert die entscheidenden Stichworte sowie Feindbilder und relativiert diese gewalttätigen Zusammenschlüsse als harmlose Chatgruppen», sagte Noetzel.

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