02. September 2025 – dpa
Zehn Jahre nach der Niederlage beim Referendum zu Olympischen Spielen in Hamburg nimmt der rot-grüne Senat einen neuen Anlauf. Ob das gelingen kann?
Vor rund zehn Jahren am Willen des Volkes gescheitert, wagt Hamburgs rot-grüne Koalition einen neuen Anlauf und will Olympische Spiele in die Stadt holen. Was 2015 unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) für die größte Sportveranstaltung der Welt 2024 noch misslang, soll nun unter Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) für 2036, 2040 oder 2044 gelingen. Die bislang letzten Spiele in Deutschland fanden 1972 in München statt.
Ende Mai hatte der Senat seine ersten Ideen für Olympische Spiele in Hamburg vorgestellt, darunter den Neubau eines Leichtathletik-Stadions neben dem bisherigen Volksparkstadion des Bundesligisten Hamburger SV. Nach den Spielen soll die Arena mit Platz für 60.000 Zuschauer als neue Heimstätte für den HSV und als Multifunktionsarena genutzt werden. Das Olympische Dorf soll in der geplanten Science City entstehen. Hinzu kommen temporäre Arenen in den Messehallen und auf dem Heiligengeistfeld. Auch gibt es bereits Ideen für eine Eröffnungszeremonie auf der Binnenalster mit fünf kreisrunden Plattformen und Tribünen in Formation der olympischen Ringe.
In Hamburg sind den Plänen des Senats zufolge insgesamt 38 Sport-Disziplinen vorgesehen, in Kiel neben Segeln noch Handball und Rugby. Außerhalb von Hamburg und Schleswig-Holstein sind Kanuslalom in Markkleeberg, die Schieß-Wettbewerbe in Suhl und das Vielseitigkeitsreiten in Luhmühlen bei Lüneburg geplant. Hamburg steht in Konkurrenz mit Berlin, München und der Region Rhein-Ruhr, die ebenfalls ihre Konzepte bis Ende Mai abgegeben haben.
Nach dem Willen des Senats: Ja. Ende Mai kommenden Jahres sollen die Hamburgerinnen und Hamburger erneut gefragt werden, ob sie Olympische Spiele in der Stadt haben wollen – Ausgang offen. Vor zehn Jahren hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) noch kurz vor der Abstimmung Umfragen veröffentlicht, wonach 56 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger für Olympia seien. Zehn Tage später stand dann fest: Nur 48,4 Prozent stimmten beim Referendum für «Spiele am Wasser», 51,6 Prozent lehnten sie ab.
Hauptgrund waren Analysen zufolge die Kosten und fehlende Finanzzusagen des Bundes. Außerdem wurde das Geschäftsgebaren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit seinen «Knebelverträgen» von etlichen Bürgern irgendwo zwischen Drückerkolonne und krimineller Vereinigung einsortiert.
«Weil sich die Vorgaben des IOC für die Ausrichtung der Olympischen Spiele und damit auch das Bewerbungskonzept grundlegend geändert haben», sagte Bürgermeister Tschentscher der Deutschen Presse-Agentur. Das IOC setze jetzt auf Nachhaltigkeit. «Verlangt werden keine teuren Neubauten, sondern die optimale Nutzung bestehender Sportstätten, kurze Wege für die Athletinnen und Athleten und eine gute Integration der Spiele in die Stadt.» Die Spiele sollen sich an die Stadt anpassen, nicht umgekehrt. Und in Hamburg bestehen laut Tschentscher 87 Prozent der Sportstätten für Olympische Spiele bereits und «werden ohnehin gebaut oder temporär ertüchtigt».
Zumindest auf dem Papier, ja. Basis ist die im März 2021 verabschiedete Olympische Agenda 2020+5, welche zu den Themen Solidarität, Digitalisierung, nachhaltige Entwicklung, Glaubwürdigkeit sowie wirtschaftliche und finanzielle Widerstandsfähigkeit insgesamt 15 Empfehlungen formuliert hat. Diese fordern das IOC unter anderem auf, nachhaltige Spiele zu fördern, den Weg zu den Olympischen Spielen zu verbessern und die Rolle des Sports als Wegbereiter für die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu stärken.
Zudem sollen sie die Hilfe für Flüchtlinge und von Vertreibung betroffene Bevölkerungsgruppen verstärken, über die olympische Gemeinschaft hinaus wirken und mit gutem Beispiel in Sachen gesellschaftliches Engagement vorangehen. Seit ihrer Verabschiedung habe die Agenda die Arbeit des IOC und der gesamten Olympischen Bewegung maßgeblich geprägt, erklärte das IOC inzwischen. «Sie hat die Olympischen Spiele grundlegend verändert.»
Die Sommerspiele in der französischen Hauptstadt im vergangenen Jahr gelten gemeinhin als großer Erfolg. Vielen in Erinnerung geblieben sind vor allem märchenhafte Bilder, die Paris mit seiner außergewöhnlichen Eröffnungsfeier auf der Seine geschaffen hat, sowie die Wettkampfstätten zwischen Eiffelturm, Louvre und Montmartre. Bürgermeisterin Anne Hidalgo schwärmte: «Das alles wird uns noch lange das Herz erwärmen.» Und die französische Zeitung «L'Équipe» schrieb: «Die Flamme ist erloschen, aber es bleiben Erinnerungen für die Ewigkeit an wunderbare zwei Wochen.»
Es gibt aber auch Kritik: So wurden für die Spiele nach Schätzungen lokaler Nichtregierungsorganisationen (NGO) rund 20.000 Menschen in prekären Lagen direkt vertrieben. In ihrem Abschlussbericht schrieben sie, Paris wäre eine historische Gelegenheit gewesen, Olympia eine wahrhaft soziale und menschliche Dimension zu verleihen und umsichtig im Hinblick auf die Grundbedürfnisse der Schwächsten zu handeln. «Doch alle von uns vor Ort gesammelten Daten zeigen, dass der französische Staat diesem Anspruch nicht gerecht geworden ist.»
Für die beim Referendum 2015 abgelehnten Spiele 2024 waren nach Senatsangaben Kosten in Höhe von 11,2 Milliarden Euro veranschlagt gewesen. 7,4 Milliarden Euro sollten aus öffentlichen Mitteln bestritten werden. Der Rest sollte über Einnahmen generiert werden. Die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris kosteten nach Angaben des französischen Rechnungshofs rund sechs Milliarden Euro an öffentlichen Geldern. Als die bislang teuersten Sportfeste gelten die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro mit umgerechnet gut 20 Milliarden Euro sowie die Winterspiele 2014 in Sotschi mit knapp 25 Milliarden Euro.
Für die nun in Hamburg angedachten Spiele gibt es noch keine Kalkulationen. Hamburg habe bislang erst ein sportfachliches Konzept entwickelt, das jetzt vom DOSB geprüft werde, sagte Tschentscher. «Auf dieser Grundlage folgt eine erste Finanzplanung, die voraussichtlich bis Anfang nächsten Jahres vorliegen wird.»
Der Bürgermeister zeigte sich aber überzeugt: «Aufgrund der neuen IOC-Vorgaben sind die Investitionskosten deutlich niedriger als früher.» Der größte Kostenblock dürfte aus seiner Sicht das Sportfest selbst sein, das «allerdings durch Zuschüsse des IOC, Ticketeinnahmen und Sponsorengelder gedeckt werden kann». Auch habe die Bundesregierung von Anfang an ihre volle Unterstützung zugesagt. «Die Ausgangslage ist also auch hier eine andere.»
Die schon 2015 tätige «NOlympia-Bewegung» ist bislang noch gar nicht in den Ring gestiegen, hat aber bereits ein klares Nein zu Spielen in Hamburg formuliert: «Mal wieder zieht der rot-grüne Senat ein Megaprojekt als vermeintlichen Entwicklungsmotor aus der Schublade und zeigt, dass ihm die Nöte der Hamburger*innen völlig schnuppe sind.» Steigende Mieten, Armut, drohende Klimakatastrophe? Wen interessiere das schon, wenn man für ein paar Wochen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gewinnen könne, betonte die Bewegung.
«Dass Hamburg über kein einziges olympiataugliches Stadion verfügt? Geschenkt! Dass weder Hamburgs Hauptbahnhof noch der Flughafen einem olympischen Massenandrang standhalten würden? Wen interessiert’s?», erklärten die Olympia-Gegner. Unterstützt werden sie von der Umweltorganisation BUND, die ebenfalls ein klares Nein zu Olympischen Spielen in Hamburg, Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen formuliert hat.
Bislang gibt es für die Multifunktionsarena weder einen konkreten Plan noch irgendwelche Kostenschätzungen. Kritiker bezweifeln auch die Notwendigkeit eines Neubaus, zumal der HSV selbst sich zwar ein neues Stadion wünscht, aber bislang kein Gutachten vorgelegt hat, dass das etwas mehr als 70 Jahre alte Volksparkstadtion nicht mehr zu retten sein soll, wie die Linken beklagen. Auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering – selbst ein Olympia-Befürworter – sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Ich glaube, das jetzige Volksparkstadion (...) ist noch nicht so abgängig, dass es zwingend ein neues Stadion bräuchte.»
Der HSV verweist darauf, dass irgendwann die Kosten für die Instandhaltung zu hoch sein werden, um die Arena wirtschaftlich zu betreiben. Ein Neubau wäre daher potenziell günstiger. Vor 25 Jahren war das Volksparkstadion komplett umgebaut worden und wurde anschließend immer wieder modernisiert, zuletzt 2024 zur EM.
Generell hält Thering nicht viel von der Debatte, zumal dann ja auch der andere Hamburger Fußball-Erstligist FC St. Pauli Kompensationen verlangen könnte. Und hinzu komme: Jeder, der es nicht mit dem HSV halte oder überhaupt kein Interesse an Fußball habe, sagt: «Ja, warum denn das jetzt?» Der Sportökonom an der Universität Hamburg und frühere Olympia-Ruderer Wolfgang Maennig hält den Plan einer Multifunktionsarena dagegen für eine gute Idee. «Die Anwohner dort sind einen Stadionbetrieb gewohnt. Und es gibt eine breite Anhängerschaft des HSV, die sich dadurch Vorteile für ihren Verein verspricht», sagte er dem NDR. Tschentscher sagte zudem: «Diese Idee sollten wir auch dann verfolgen, wenn die Olympischen Spiele nicht nach Hamburg kommen.»
Im Bewerbungskonzept des Senats an den DOSB heißt es: «Mit der Hyperloop-Strecke zwischen Hamburg und Kiel wird ein maßgeblicher Impuls für eine
neue Hochgeschwindigkeitstechnologie im Personen-Schienenverkehr gesetzt» - also nicht «sollte» oder «könnte», sondern «wird». Bürgermeister Tschentscher ist da inzwischen wieder zurückgerudert. So wolle der Senat das Projekt insbesondere bei rechtlichen Fragestellungen für den Bau einer Referenzstrecke auf Hamburger Gebiet unterstützen, sagte er. Tatsächlich bauen soll die Strecke aber ein privates Konsortium.
«Ob die Sache auch in der Praxis funktioniert, kann bei so visionären Projekten natürlich niemand garantieren», sagt Tschentscher. Bislang gibt es lediglich Teststrecken in Ottobrunn bei München und in Emden, von einer kommerziellen Nutzung des Hochgeschwindigkeitssystems ist man himmelweit entfernt. Für Tschentscher steht dennoch fest: «Der Aufbau eines deutschlandweiten Hyperloop-Systems wäre ein Zukunftsprojekt, das die klassischen Verkehrsträger Straße, Schiene und Flugzeug stark entlasten und uns im internationalen Vergleich technologisch an die Spitze bringen würde.»
Aus Sicht des CDU-Oppositionsführers Thering gar nicht. Der Senat habe die Olympia-Bewerbung mit wenig Esprit, wenig Motivation und Begeisterung vorgestellt. Auch sei die neue Bewerbung im Vergleich zur alten Bewerbung deutlich schwächer. Es konzentriere sich alles auf Altona. «Vorher hatten wir die Spiele am Wasser, und damit konntest du die Menschen begeistern.»
Sportökonom Maennig plädiert für einen Perspektivwechsel: «Wollen wir gute Gastgeber sein und die besten und motiviertesten jungen Leute der Welt empfangen?» Das sei die wesentliche Frage und nicht, ob damit Geld zu verdienen sei. «Wer so denkt, hat meiner Meinung nach von vornherein den Anspruch auf Olympische Spiele verwirkt.»